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14. November 2013
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Süddeutsche Zeitung Magazin
»Ich kann mich in kein System einfügen«
Sven Michaelsen
Interview mit Gottfried Helnwein
Als Kind zerschnitt sich der Wiener Maler Gottfried Helnwein die Hände mit Rasierklingen. Durch Donald Duck entdeckte er die Kunst. Heute sind seine Horrorvisionen längst Kunstgeschichte. Ein Gespräch über die Abgründe eines ungewöhnlichen Lebens.
Herr Helnwein, was wollten Sie werden, als Sie 14, 15 Jahre alt waren?

Kinderarzt oder Revolutionär. Mein Hass auf die Welt der Erwachsenen, in die ich hineingezwungen war, war gigantisch. Ich sehnte mich nach Umsturz, Ekstase und Rundumschlag. In meinen Tagträumen habe ich die Schule in die Luft gesprengt und die korrupte Gesellschaft niedergerissen.  Das Klima war damals wirklich unglaublich repressiv.
Die Generation meiner Eltern war das traurige Ergebnis jahrhundertelanger Indoktrinierung und Konditionierung, die in der Nazi-Zeit ihren endgültigen Tiefpunkt erreicht hatten. Und in der Welt, die sie uns hinterlassen hatten, war alles klein, grau, eng und verboten.
Als die Rolling Stones auftauchten, brachten sie uns die Ahnung einer Zeit des Ungehorsams, des Widerstands, der Rebellion. Und sie sahen vor allem genauso aus, wie wir gerne ausgesehen hätten. Für uns biedere, eingeschüchterte Nachkriegskinder, die wir wie Ministranten dastanden, mit roten Ohren und Hitlerjugend-Haarschnitt, waren sie wie Götter, die aus einer höheren Welt zu uns herabgestiegen waren.
Als wir uns die Haare auch etwas länger wachsen liessen, wurden auf der Strasse Steine nach uns geworfen, und man schrie: „Ihr G’sindel g’hört vergast. Der Hitler g’hört wieder her.“


In einem gerade erschienenen Buch* wird behauptet, Sie hätten lange an Alexithymie gelitten, der Unfähigkeit, Gefühle zu haben.

Solche Pathologisierungen sind schwachsinnig. Ich empfand die Gesellschaft in die ich hineingeboren war als Straflager. ich war in ein System gepresst, das ich nicht verstand - ich wollte da raus. In der Schule habe ich angefangen, mir mit Rasierklingen die Hände aufzuschneiden, als Protest gegen das System, das ich ablehnte. Wenn ich blutüberströmt war, musste ich nur die Hand heben, und alles stand still. Es war plötzlich ein freier Raum um mich herum. Ich empfand das als Befreiungsschlag, eine Demonstration der Selbstbestimmung, auch über meinen Körper.
Es war ein sinnliches Erlebnis, Blut hat ja immer auch eine magisch, mystische Dimension, besonders im Christentum. Ich habe den Grossteil meiner Kindheit in kalten Kirchenschiffen verbracht und die Bilder meiner Kindheit waren bluttriefende, verzückt gen Himmel blickende Märtyrer, heilige Wundmale, das Blut Christi im Kelch und das blutende, von Schwertern durchbohrte Herz  Marias von den 7 Schmerzen. Und wir sangen: „Jesus, drücke Deine Schmerzen tief in aller Christen Herzen..“
Es war auf jeden Fall eine Erlösung, wenn mich die schöne Sekretärin des Direktors liebevoll verbunden hat, und ich meinen Knabenkopf auf ihren wohlgeformten Busen legen konnte.


Ihr Erlöser war der Disneyzeichner Carl Barks. Die Begegnung mit seinen Figuren beschreiben Sie als „Epiphanie“ und  „Eintritt in ein neues Universum“.


Wien, die Stadt, in die ich direkt nach dem Zweiten Weltkrieg hineingeboren wurde, war ein dunkler Ort. Der lange Schatten des Dritten Reiches lag immer noch über der Stadt, und der Geruch des Todes hing in der Luft. Ich erinnere mich an die leeren Straßen, die Ruinen ausgebombter Häuser, Schutt und Asche, daran, dass es keine Farben gab, keine Töne. Die Erwachsenen, die ich sah, erschienen mir schwerfällig, grantig und gebrochen. Ich hörte nie jemanden lachen oder singen.
Gottseidank hatten einige PR-Offiziere der amerikanischen Besatzungstruppen die Idee, man müsse uns Nazi-Kindern die amerikanische Kultur vermitteln, und zwar durch Micky Mouse-Comics.
Bei der Suche nach einer Übersetzerin sind sie zu unserem großen Glück auf Dr. Erika Fuchs gestoßen, eine eine äusserst gebildete Kunsthistorikerin, die gerade einen Job brauchte. In ihrer Unvertrautheit mit Comics übersetzte sie den Text in ihr wunderbares Bildungsdeutsch und mit ihren Wortschöpfungen wuchs dann über sich hinaus. Sie wurde  zu einem weiblichen Goethe.
Als ich zum ersten mal Entenhausener Boden betrat, wusste ich, dass ich der Vorhölle der wiener Nachkriegszeit entronnen war. Ich nahm zum ersten mal Farben wahr,  und das Leben bekam einen Sinn. Und hier traf ich auch jenen Mann, der mein Leben verändern sollte: Donald Duck, von dem ich mehr gelernt habe, als in allen Schulen, in denen ich war.
Aber auch der Umgang mit Leuten wie Schmu Schubiak, Kasimir Keiler, dem Haarigen Harry oder Sebastian Sandig, genannt der Wüstenwastel, schärfte mein Auge für die Einschätzung meiner Mitmenschen, und waren von unschätzbarem Wert.


Marinetti meinte, ein Rennwagen sei schöner als die Nike von Samothrake, Sie meinen, Donald Duck sei bedeutsamer als die Mona Lisa.

Obwohl er gar nicht aussieht wie ein Mensch, sondern eher wie eine Ente, verkörpert er das Menschliche doch mehr als alle Werke der bildenden Kunst vor ihm. Was ist an der Mona Lisa denn menschlich? Sie erinnert zwar äußerlich an eine weibliche Gestalt, aber bei aller malerischen Qualität hat sie doch sehr wenig mit einem wirklichen Menschen zu tun. Es ist erstaunlich, dass dieser kleine, künstliche Erpel ein so viel besserer Spiegel der menschlichen Seele ist. An ihm erkennen wir unsere Ängste, Unsicherheiten und Schwächen, unsere Dummheiten und Eitelkeiten. Aber auch jene Starrköpfigkeit, mit der wir nach jeder Niederlage, nach jedem Scheitern wieder aufstehen und neu beginnen.


Mit 16 brachen Sie das Gymnasium ab und besuchten die Höhere Graphische Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt, eine 1888 gegründete Schule für Grafik und Zeichnen mit internationaler Reputation. Nach ein paar Wochen waren Sie der bekannteste Schüler.

Unser Lehrer war ein altakademischer Maler. Beim Aktzeichnen pirschte er sich von hinten an und raunte einem ins Ohr: „Sei kühl wie ein Fechter.“ Oder er schrie plötzlich: „Wage den Panthersprung!“, was ich einigermassen befremdlich fand.
Irgendwann hatte ich genug von den fetten Aktmodellen und ich malte mit roter Farbe einen Hitler auf mein Blatt.  Als mir der Professor über die Schulter blickte, erstarrte er für einen Augenblickt, dann drehte er sich auf dem Absatz um und rannte in Panik hinaus. Ich höre noch das quietschende Geräusch seiner Gummischuhe. Der weiße Arbeitsmantel flatterte ihm hinterher, und weg war er.  Kurz darauf  quoll die gesamte Professorenschaft durch die Tür, wie eine Schar aufgeschreckter Vögel. Der Direktor hielt mit bebender Stimme eine Ansprache über die Zeiten, wo sie alle aufstehen und das Vaterland verteidigen mussten, und dass wegen meiner Zeichnung der achtzigjährige Weltruhm der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt auf dem Spiel stünde, und dann wurde das Blatt beschlagnahmt.
Das war der Moment, wo ich das erste Mal eine Ahnung von der Macht eines Bildes bekam.



Mit achtzehn wechselten Sie für vier Jahre an die Akademie der bildenden Künste. Sie besuchten nie eine Vorlesung und machten keinen Abschluss.

Da ich mich in kein System einfügen konnte und jede Art von Autorität ablehnte, erkannte ich irgendwann, dass als letzter Freiraum nur die Kunst blieb.
Um zur Aufnahmeprüfung zugelassen zu werden, musste man Arbeiten vorweisen, da ich aber bis dahin noch nie gemalt hatte, dachte ich, gut, dann male ich halt ein Bild, aber mehr wollte ich nicht investieren. Da ich keinen Vergleich hatte, wusste ich auch nicht ob das Bild etwas taugte oder scheisse war.
Zu meinem Erstaunen war Professor Hausner so beeindruckt von meiner Arbeit, dass er mich sofort ohne die übliche Aufnahmeprüfung in seine Meisterklasse aufnahm.
Er ersparte mir damit,  stundenlang in einer langen Schlange verlorener Seelen stehen zu müssen, die in ihre Firmungsanzüge gepresst, mit grossen Mappen unterm Arm, darauf warteten, zu den Professoren vorgelassen zu werden, die dann mit ihren gichtigen Fingern in den Arbeiten wühlten und "Die Malerei ist nichts für Sie, lernen Sie lieber was Gescheites"' sagten.
Genauso ist es einem jungen Mann in dieser Akademie sechzig Jahre davor ergangen, er wurde gleich zweimal abgewiesen. Sein Name war Adolf Hitler. Es war der schwerste Fehler, den je eine Universität begangen hat.


Ihr Professor war Rudolf Hausner, ein Vertreter des Phantastischen Realismus, der wegen Hehlerei zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden war.

Hausner hatte schon eine Professur in Hamburg, wo die Rebellion der Studenten gerade auf dem Höhepunkt war, und wo er mit den Worten empfangen wurde: "Halt's Maul, Reaktionärer Sack, Malen ist ein Privileg der Bourgeoisie auf dem Rücken der Arbeiterklasse",
Nach diesem Schock beschloss er, sich bei seiner Professur in Wien, das politisch ein bisschen hinterher war, gleich von Anfang an an die Spitze der Revolution zu setzen.
Er predigte Marx und Freud, da er aber auf kein grosses Interesse stiess, zog er sich in sein stattliches Atelier in der Akademie zurück, fuhr mit seinem Mercedes 600 herum und genoss die Zeit mit seiner appetitliche Sekretärin, die ihm der österreichische Staat bezahlte. Danach haben wir ihn nicht mehr gesehen. Für mich war das ein Glücksfall und ich bin ihm unendlich dankbar dafür.  Ich war endlich frei, ich konnte einfach vor mich hinmalen wie ein autistisches Kind, und niemand kümmerte sich um mich. Es war der ultimative Freiheitsrausch.


Nach ein paar Wochen porträtierten Sie abermals Hitler.

Diesmal in Öl. Der Führer sah in die Abenddämmerung. In einem Altwarengeschäft fand ich einen schweren, schwarzen Rahmen aus den dreißiger Jahren.
Ich habe das Bild bei meiner ersten Ausstellung im Künstlerhaus zusammen mit meinen verwundeten Kindern gezeigt, und angenommen, dass es im Kontext verstanden wird, aber die Reaktionen waren heftig, einige beschimpften bedrohten mich, aber andere zeigten ihre unverhohlene Begeisterung. Einer kam auf mich zu und zeigten mir verstohlen aber stolz in seiner hohlen Hand sein silbernes SS-Totenkopfabzeichen. Und eines Tages klopft es an der Ateliertür in der Akademie und ein mir unbekannter Bursche steckte seinen Blondschopf herein und fragte wo denn das Führer-Bild zu besichtigen wäre. Als er es in der Ecke hinter einer Trennwand sah, fiel er vor dem Bild auf die Knie, die Hände wie zum Gebet erhoben, und rief: „Der Führer, der Führer, eine einzige Spritzerei!"


Wer besitzt Ihr Hitler-Porträt heute?

Ich habe es später gegen einen Ford-Mustang eingetauscht, den ich gleich bei meiner ersten Ausfahrt in einem Frontalzusammenstoss zu Schrott gefahren hatte. Wo das Bild heute ist, weiss ich nicht.


In die Annalen der Akademie gingen Sie mit einem Anschlag ein, der die Feuerwehr und eine Hundertschaft Polizei auf den Plan rief.

Die Zeit war reif für den Umsturz, es gab keine andere Möglichkeit. An der Akademie und den Universitäten ging es zu wie in einem Ameisenhaufen. Alles war voll mit Neomarxisten, Maoisten, Trotzkisten, Spartakisten und wie sie sich alle nannten, die sich gegenseitig beschimpften und unter Che Guevara-Postern Tag und Nacht über die Befreiung des Proletariats diskutierten. Dabei waren das lauter Kinder aus wohlhabenden bürgerlichen Elternhäusern und adelige Fräuleins, die noch niemals einen richtigen Arbeiter aus der Nähe gesehen hatten. Die wirklichen Arbeiter, die ich sah, lebten offensichtlich auf einem Paralleluniversum, denn sie hatten keine Ahnung, von ihrer kurz bevorstehenden Befreiung vom Joch des Kapitalismus,  und sie hätten auch kein Wort von diesem Geschwafel verstanden. Ihnen stand der Sinn in der Regel nach ganz anderen Dingen: Autos, Fußball, Fernsehen, Bier und Pornoheften.
Mir wurde bald klar, dass die Diskutierer niemals einen richtigen Aufstand zustandebringen würden, und da beschoss ich die lange ersehnte Revolution selbst stattfinden zu lassen. Ich holte mir ein paar meiner völlig unpolitischen Freunde und wir verwandelten die Akademie in ein qualmendes Inferno, alle Feuerlöscher wurden aktiviert, selbstgebastelte Farb- und Stink- und Rauchbomben flogen herum und die Fenster wurden in den Hof geworfen.
Als die Hundertschaft der Polizei das Gebäude umstellte, hatten wir uns längst durch das Mensa-Fenster nach draussen abgeseilt.


Wie sahen Sie damals aus?

Lange Haare, enge, rote Samthose, und alte Uniform-Jacken und Mäntel.

Als Sie mit Anfang zwanzig zum zweiten Mal LSD nahmen, bekamen Sie eine Psychose, die Sie um den Verstand brachte.


Es war ein Sturz durch alle neun Kreise der Hölle, der mich fünf Jahre meines Lebens kostete.
Die ganze sogenannte objektive Wirklichkeit, mit all ihrer vertrauten Gesetzmäßigkeit und Funktionsweise, war vollkommen in sich zusammengebrochen. Ich stürzte in ein Inferno. Eines Tages gab es diesen Augenblick, wo der nicht enden wollende Horror plötzlich in Verblüffung umschlug, weil ich bis dahin nicht gewusst hatte, dass ein derartiges Ausmaß an Panik, Schmerz und Wahnsinn überhaupt erlebbar ist. Grössere Mengen Valium war das einzige, das kurzfristig half.


Haben Sie in den fünf Jahren Ihrer Valiumsucht gemalt?


Nein. Als ich wieder anfing, kamen Leute, die meine Bilder ausstellen oder kaufen wollten, aber ich lehnte das ab, und sagte, ich hätte die Bilder doch nicht gemalt, um damit Geschäfte zu machen.

Wovon haben Sie gelebt?

Mich hat Geld nie interessiert. Damals konnte man in Wien wunderbar leben, ohne mit Geld jemals in Berührung zu kommen. Wir verbrachten die Tage  vor allem in Kaffeehäusern und liessen anschreiben. Irgendwann haben wir  eine Zeichnung dagelassen. Nirgendwo konnte man mittellos auf so hohem Niveau leben wie in Wien.


Trotz Ihrer Antihaltung wurden Sie fast über Nacht zum bekanntesten Maler Ihres Landes.

Bei meinen ersten Ausstellungen gab es immer wieder Tumulte, Ausstellungen wurden abgebrochen, meine Bilder wurden mit "Entartete Kunst"- Stickern beklebt und einmal schickte der Bürgermeister von Mödling die Gendarmerie in eine Galerie um meine Bilder zu beschlagnahmen.

Ich wollte aber ohnehin noch ein Stück weitergehen und meine Bilder auf die Titelblätter von Zeitschriften bringen, um auch Menschen zu erreichen, die kein direktes Interesse an Kunst haben und nie mit ihr in Berührung kommen. Die Vorstellung, dass irgendjemand morgens verschlafen in die Trafik schlurft, um sich Zigaretten und die „Kronen Zeitung” zu kaufen und dann unvorbereitet auf mein Bild trifft, fand ich aufregend. Diese kleinen engen Galerien, in denen bei der Vernissage irgendwelche Verlierer mit Sektflöten herumstehen, das war es einfach nicht.
Ich überlegte auch: Wie kann man diese Szene am meisten ärgern? Was wäre die Todsünde? Und die Antwort war eindeutig: Peter Alexander für das Titelblatt der „Kronen Zeitung” zu malen. Ich habe dann auch noch Hans Krankl gemalt, den österreichischen Helden, der Deutschland in Cordoba aus der Weltmeisterschaft geschossen hat.  Es war erfrischend, in diese Trivialmythen einzutauchen und zu sehen, wie alle Wichtigtuer aus der Kunstszene ausrasteten. Es war ein wunderbares, befreiendes Gefühl, alle Brücken hinter sich verbrannt zu wissen, ausgestoßen zu sein und vogelfrei. Ich konnte endlich wieder durchatmen.


Die Leser der Kronen Zeitung waren begeistert von Ihnen.

Wenn ich durch Wien ging, hörte ich die Leute sagen: „Schau, da geht der Krankl-Maler.“


1988 haben Sie ein Jahrhundertfoto gemacht: Der Bildhauer Arno Breker, Hitlers Lieblingskünstler, hält sich in seinem Düsseldorfer Atelier ein Gemälde von Ihnen vor die Brust, das Joseph Beuys zeigt.

Als ich Ihn bat, für die Aufnahme das Bild von Joseph Beuys hoch zu halten, murmelte er: „Das hätte sich der Beuys aber nicht träumen lassen.“
Anschließend erzählte er mir, wie er Anfang der Dreißiger Jahre vom russischen Ministerpräsidenten Molotow kontaktiert wurde, der ihn im Auftrag Stalins nach Moskau einlud, um den neuen sozialistischen Realismus zu begründen. Als Breker schon seine Koffer gepackt hatte, war Goebbels am Telefon: „Breker, der Führer möchte, dass Sie bleiben. Das Deutsche Reich braucht Sie.“ Dann hat er wieder ausgepackt.
Er hätte genausogut Held der Sowjetunion werden können.


Wie sah es in Brekers Atelier aus?

Mir fiel die heroisierende Büste eines beleibten Schwarzen auf, auf dessen Militäruniform Phantasieorden prangten. Breker sagte, das sei der frühere Präsident der Elfenbeinküste. In den Sechzigern sei der Mann in seinem Atelier aufgetaucht und habe ihm den Arm um die Schulter gelegt: „Kommen Sie in mein Land, Breker, ich werde Ihr zweiter Hitler sein! Gestalten Sie mir die neue Hauptstadt. Im der Mitte entwerfen Sie mir ein Monument, Thema: befreites Afrika.“ Breker zeigte mir sein Gipsmodell der Hauptstadt. Im Zentrum war ein gigantischer Versammlungsplatz vorgesehen, in der Mitte eine kolossale Statue: Ein Schwarzer mit gesprengten Ketten und zerrissenem Hemd, der mit geballter Faust aufgewühlt gen Himmel blickt. Als ich Breker fragte, was aus seinem Utopia geworden sei, sagte er resigniert: „Der Präsident ist leider kurz darauf gestürzt worden.“

Haben Sie Breker gefragt, wie er zur sogenannten entarteten Kunst stand?

Ich habe es mehrfach versucht, aber er hatte dann immer Probleme mit seinem Hörgerät, das genau dann seinen Dienst zu versagen schien.


Auch wer noch nie von Ihnen gehört hat, kennt ein mit fotografischem Realismus gemaltes Gemälde von Ihnen. „Boulevard of Broken Dreams“ zeigt James Dean mit Zigarette im Mund auf dem regennassen Times Square. Das Bild wurde zu einem der meistverkauften Poster der Welt.

Es ist ein eher untypisches Bild in meinem Werk. Es entstand 1981 zum 50. Geburtstag von James Dean. Ich habe mir nicht viel dabei gedacht. Es entwickelte aber eine Eigendynamik und plötzlich war es überall.


Die Poster-Tantiemen müssen Sie zum Multimillionär gemacht haben.

Das war nicht so wild, irgendwann gab es weltweit so viele Raubdrucke, dass man völlig den Überblick verlor. Ich habe dann alles aufgekauft, und die weitere Herstellung untersagt.


Das Leitmotiv Ihrer Malerei ist der Schmerz von Kindern, die mit Rohren und chirurgischen Werkzeugen misshandelt werden. Wie sind Gewalt und Folter Ihre Lebensthemen geworden?

Als ich das erste mal vom Holocaust erfahren habe, war das ein Schock für mich und eine Zäsur, ich wollte mit der Generation meiner Eltern, und deren Tradition nichts mehr zu tun haben, ich war besessen von der Idee alles darüber herauszufinden,  und die Ursachen zu verstehen und ich stiess in meiner Recherche auf immer mehr Gewalt, Grausamkeit, und Unterdrückung, die sich durch ganze die Menschheitsgeschichte zieht. Aus irgendeinem Grund hat mich das Thema nicht mehr losgelassen.  Die meisten Menschen haben gesunde Verdrängungsmechanismen, die ein Weiterleben möglich machen. Ich glaube mir fehlt dieser Mechanismus.
Irgendwann bin ich auf gerichtsmedizinische Fotos  von Kindern gestoßen, die zu Tode gefoltert worden waren häufig von jemandem aus ihrem Verwandtenkreis. Es waren Bilder, die ich nicht vergessen konnte.
Der einzige Weg für mich mit diesem Wissen fertig zu werden, war, es zu malen.


Die Kunstkritik feiert Sie heute als Seher. Lange bevor der zig-tausendfache Missbrauch von Kindern in Heimen und Kircheneinrichtungen publik wurde, hätten Sie ihn bereits gemalt.
 
Ich habe zwar von den konkreten Ereignissen nichts gewusst, aber ich habe es gespürt, und genau zu der Zeit als diese Misshandlungen stattfanden, habe ich wie besessen in meiner Arbeit immer wieder das verwundete und missbrauchte Kind dargestellt.  Die Leute haben es als Schock empfunden, weil ich sichtbar gemacht habe, was ihnen unsichtbar lieber gewesen wäre. Man hat mich als geisteskrank bezeichnet.
 Jetzt, nachdem mit grosser Verzögerung all die grauenhaften Details diesen massiven Missbrauchs  ans Tageslicht kommen, kann man sehen, dass ich nicht so falsch gelegen bin.

Ihre Bilder wurden von der Polizei beschlagnahmt und von Unbekannten mit Messern zerschlitzt.

Mich haben immer wieder Leute angesprochen, die erstaunt gesagt haben: "Sie wirken ja ganz normal. Warum malen Sie denn so etwas schreckliches?" und dann die Frage: "sind Sie als Kind missbraucht worden?" in der Hoffnung, dass ich "Ja" sage, weil sie dann eine rettende Erklärung hätten, die das Bild neutralisieren und erledigt würde. Aber den Gefallen kann ich ihnen nicht tun, sie müssen schon selbst mit den Bildern fertig werden. Denn das eigentliche Problem sind nicht die winzigen Spuren von Farbpigmenten auf der Leinwand, sondern die Bilder in ihren eigenen Köpfen.


In Wien wurden Sie gerade mit einer großen Retrospektive geehrt. Am Eingang der Albertina hieß es auf einer Warntafel: „Wir empfehlen den Besuch auf Grund von expliziten Gewaltdarstellungen im Werk des Künstlers erst ab einem Alter von 16 Jahren.“

Es ist doch ein gutes Zeichen, und es spricht für die Kunst, wenn man sie für gefährlich hält.
Wenn man aber bedenkt mit wieviel Gewalt und Horror Kinder und Jugendliche täglich durch das Internet, Filme und die Massenmedien konfrontiert werden, ist es seltsam, dass man denkt sie ausgerechnet vor der Kunst im Museum schützen zu müssen.
Die Medien berichten unentwegt von Katastrophen und Terror, was die Menschen nur depressiver, apathischer macht, und ihnen ein Gefühl der Hilflosigkeit, des Ausgeliefertseins gibt. Kunst ist die einzige Möglichkeit, mit diesen Themen umzugehen, sie transzendiert den Schrecken. Ich war gerade im Prado und habe mir die Besucher vor den Gemälden von Hieronymus Bosch angeschaut. Auf den Bildern sieht man Menschen, die von Monstern zerstückelt, aufgespießt und gefressen werden. Aber keiner der Betrachter reagiert darauf bedrückt. Im Gegenteil, die Menschen fühlen sich inspiriert und emporgehoben. Viele haben ein Lächeln im Gesicht. Die Unentrinnbarkeit des Schreckens wird durch die Kunst relativiert, durch sie verliert der Tod seine Macht.


1970 malten Sie ein Mädchen mit Maschinenpistole. Was dachten Sie, als Jahrzehnte später jugendliche Amokläufer an Schulen Massaker verübten?


Niemand hat je hinterfragt, warum in Amerika eines Tages Kinder begonnen haben, in der Schule andere Kinder mit Maschinenpistolen niederzumähen. Und inzwischen akzeptieren wir das als Teil des American Way of Life, wir haben wir uns daran gewöhnt. Kinder, die Massenmorde an Kindern begehen, das hat es in der gesamten Geschichte der Menschheit noch niemals gegeben. Das ist neu. Wenn Kinder beginnen, andere Kinder zu töten und sich dann selbst richten, ist das ein sicheres Anzeichen für das Sterben einer Zivilisation.
Man hat Marylin Mansons Musik, Computergames und schliesslich die Waffen dafür verantwortlich gemacht, was natürlich ein Schwachsinn ist. Niemand wagt es, die richtigen Fragen zu stellen. Niemand wagt es, das System infrage zu stellen. Von Amerika geht eine Kultur des Todes aus. Seit Ende des 2ten Weltkrieges ist dieses Land praktisch ständig im Kriegszustand. In diesen Kriegen starben bisher 26-30 Millionen Menschen. Zig-Millionen wurden verletzt und verstümmelt, ganze Nationen wurden in die Steinzeit zurückgebombt und versanken im Chaos. Keine dieser Militärischen Interventionen hat irgend ein Problem gelöst, oder irgend jemandem geholfen, ausser dem Military Industrial Complex und dessen Banken.
Der Friedensnobelpreisträger im Weißen Haus führt eine Todesliste von Menschen, irgendwo in der Welt, weit weg von Amerika, deren Leben durch Drohnen ausgelöscht wird. Tagtäglich, wie auf dem Fließband. Tausende sind bisher auf diese Weise getötet worden, darunter viele Kinder. Keiner kennt ihre Namen, niemand weiß, was ihnen überhaupt vorgeworfen wird.


Mit Ihrer leisen, freundlichen Art wirken Sie wie ein Denkmal der Friedfertigkeit. Gibt es die Gewalt, die Sie malen, in Ihrem Kopf?

Nein. vielleicht ist es ein Defekt, aber ich habe schon immer einen fast pathologischen Gerechtigkeitswahn in mir gehabt. All meine evil intentions richten sich gegen Leute, die anderen, vor allem Wehrlosen Schmerz zufügen.

Sie haben vier Kinder. Manche Eltern geben zu, dass sie bei eskalierenden Konflikten mit ihrem Nachwuchs für Bruchteile von Sekunden von Totschlagimpulsen durchzuckt werden.

Ich habe nie andere Gefühle als Bewunderung, Liebe und Respekt für meine Kinder empfunden.  Für mich sind Kinder ein grosses Wunder, sie tragen mit ihrer Reinheit und Entrücktheit die Möglichkeit zu einem besseren Menschsein in sich. Es ist nur wichtig, Sie vor den Erziehungs- und Indoktrinierungsmethoden der korrupten Erwachsenenwelt zu schützen.

Ihre Kinder sind zwischen 26 und 36 Jahre alt. Wie waren Sie als Erzieher?

Erziehung ist schon der falsche Ausdruck. Ich wollte niemanden irgendwo hin ziehen. Zwang gab es bei mir nicht, weil ich mit den schwachsinnigen Regeln und Verboten der Erwachsenenwelt im Kriegszustand bin. Meine Kinder sind im Atelier aufgewachsen. Sie konnten abends aufbleiben, solange sie wollten, und es war ihnen freigestellt, ob sie zur Schule gehen oder nicht. Sie durften auch in meine Bilder hineinmalen. Ich habe den Kindern einen Freiraum gegeben und gesagt: „Schaut euch um, findet heraus, wer ihr seid, und was ihr wollt. Ich bin auf Eurer Seite gebe euch jede Unterstützung, aber vertraut nur eurer eigenen Wahrnehmung.“ Die Kinder waren meine Rache an den repressiven Regeln der Gesellschaft.

Sie leben seit 1997 in einem traumschönen 50-Zimmer-Schloss  in der irischen Grafschaft Tipperary. Zuvor wohnten Sie zwölf Jahre lang in einem zweitausend Quadratmeter großen Barockschloss in Burgbrohl in der Eifel. Wie erklären Sie Ihren Immobiliengeschmack?

Wenn man viele Kinder und Freunde hat, und auch noch ein Atelier unterbringen muss, sind Schlösser äußerst praktisch. Es war immer meine Vision, in einer süditalienischen Großfamilie zu leben. Es ist wunderbar, wenn man einen Haufen Kinder um sich hat, noch dazu, wenn sie alle Künstler sind.

Ihr Sohn Ali Elvis Donald Dagobert Lancelot ist Musiker und hat als Komponist einen Emmy gewonnen. Ihre Tochter Mercedes ist Schriftstellerin, Filmemacherin und erfolgreiche Malerin. Was machen Ihre anderen Kinder?


Cyril ist Fotograf und mein Assistent. Amadeus ist Schriftsteller und meine vier Enkelkinder sind auch alle Künstler.

Cyril hat eine Irokesenfrisur und ist am ganzen Körper tätowiert. Hat es Aufstände gegen den berühmten Vater gegeben?

Es gab niemals irgendeinen Streit oder Konflikt mit meinen Kindern. Rebellion ist ein notwendiger Akt gegen Repression. Aber wenn es die nicht gibt, wenn die Eltern Verbündete und Förderer sind für alles, was man vorhat und wovon man träumt, gibt es keinen Grund zum Aufstand.


Sie sind gerade 65 Jahre alt geworden. Werden Sie Ihren Look aus langen Haaren, Stirnband, Sonnenbrille und Totenkopfringen noch einmal ändern?

Warum sollte ich?

Der Preis für Ihre Bilder geht in die Millionen. Wie viele Helnweins gehören Ihnen?

Nicht viele. Ich habe immer versucht meine eigene Sammlung zu haben, aber wenn irgendein Sammler  insistiert, verkaufe ich doch. Der einzig sichere Weg, ein Bild zu behalten, ist, es meiner Frau zu schenken.

Wie viele Helnweins besitzt Ihre Frau?


Ich weiss es nicht genau, aber viele Sammler haben mehr.

Bilder von Ihnen gekauft haben Arnold Schwarzenegger, Sean Penn, Nicolas Cage, Ben Kingsley, Andrew Lloyd Webber, Lisa Maria Presley, Elton John und Michael Jackson.

Gut für sie.

Stimmt es, dass viele Käufer Sie in Ihrem Schloss besuchen wollen?

Ja. Ich empfehle aber, Künstler nicht kennenlernen zu wollen. H.C. Artmann wurde in Österreich als Dichterfürst verehrt. Die Leute erwarteten daher ständig poetische Bonmots zum Mitschreiben und waren dann enttäuscht, wenn sie ihn trafen und er darüber sprach wo es die besten Schnitzel gab.

Arthur Koestler meinte: „Künstler zu mögen und ihnen dann zu begegnen, ist wie Gänseleberpastete zu mögen und dann die Gans zu treffen.“

Das kann ich nicht nachvollziehen. Meine Gänse und meine Enten sind mir heilig. Ich würde lieber die Gänseleberpastete nicht kennenlernen wollen.

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*Oliver Spiecker, „Malen heißt sich wehren“, Edition Braus, 196 Seiten, 24,95 Euro





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